Wir gedenken der Leiden der Juden und dürfen heute Freunde werden

Das Gedenken an die Reichspogromnacht und den Holocaust sind feste Termine in unserem Bergisch Gladbacher Kalender. Wir tragen die Verantwortung, die Verfolgung und Vernichtung von Juden im Dritten Reich nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sondern aus dieser tiefsten Menschenverachtung für uns heute zu lernen. Dieser Verantwortung versuchen wir als Städtepartnerschaftsverein gerecht zu werden.

Im Folgenden lesen Sie einiges über die Gedenkveranstaltung am 09.11. und die Ausstellungseröffnung am 10.11. Der Bericht schließt mit einem Text, den Zwi Eshed, der den Holocaust überlebte, an unseren Vereinsvorsitzenden Lutz Urbach schrieb.

Gedenken an die Reichspogromnacht 1938

Immer wieder ist es bewegend, wie sich die Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule Paffrath an der Gedenkveranstaltung für die Opfer der Reichspogromnacht 1938 einbringen. Der jeweilige Literaturkurs präsentiert Lesungen oder szenische Darstellungen zum Thema und der Unterstufenchor singt passende Lieder. Wie schön! Danke dafür!

Lutz Urbach lenkte in diesem Jahr die Gedanken der Anwesenden nicht nur auf die Geschehnisse der Reichsprogromnacht 1938, sondern schlug die Brücke zum aktuellen Antisemitismus in Deutschland und zum Pogrom der Hamas in Süd-Israel am 07.10.2023:

Antisemitismus und Fremdenhass zerstören Menschen und Gesellschaften

Anna und Martin Reichenbach ziehen 1926 von Köln auf den Odinhof in Schildgen. Martin ist ein wohlhabender Hutfabrikant und Kaufmann mit Geschäften in Köln, Bonn, Dortmund und Duisburg. Martin ist Jude. Die Familie ist in das gesellschaftliche Leben in Schildgen gut integriert.

Im April 1937 ziehen die Reichenbachs nach Köln und erleben dort die Novemberpogrome. Martin Reichenbach ist geschockt und entschließt sich sehr schnell zur Emigration. Er verlässt am 28. Februar 1939 seine Geburtsstadt Köln und flieht nach England, wo er sich als Butler verdingt.

Anna und ihre drei Jungen, damals 12, 10 und 8 Jahre alt, bleiben zurück. Schon einen Monat später schickt die Mutter ihre Söhne vom Kölner Hauptbahnhof aus auf eine ungewisse Reise nach Holland: Der Sonderzug „Kindertransport“ soll auch die drei – nach Definition der Nazis – „Halbjuden“ vor den Zugriffen des NS-Regimes in Sicherheit bringen. Geplant ist, dass sie nur kurz in Holland bleiben sollen, bis ihre Mutter das sehnlichst erwartete Visum für England erhält. Aufgrund tragischer Umstände wird der Plan nicht umgesetzt.

Anna überlebt den Krieg auf dem Land, zuletzt auch in Schildgen, ihre Söhne überleben den Holocaust in holländischen Verstecken. Ihren Mann sieht Maria jedoch zeitlebens nicht wieder. Martin erlebt sieben schwere Jahre und stirbt an einem Herzinfarkt – fern von seiner Frau und den Kindern, verbittert und einsam im Exil.

Die Familie Reichenbach wurde durch Rassenhass und Willkür gedemütigt, zerstreut und zerstört.

Und heute? Es gibt hunderte von Übergriffen gegen Gedenkstätten, jüdische Einrichtungen und gegen Jüdinnen und Juden in unserem Land. Die Art und Weise dieser Übergriffe gegen Menschen reicht von Beleidigung über Bedrohung bis hin zum Angriff. Viele Vorfälle sind uns aus den Medien bekannt. Viele auch nicht. Zwei Beispiel möchte ich nennen (Quelle: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/chronik/:)

30. Januar 2023, Hamburg:

Ein etwa dreißigjähriger, unbekannter Mann setzt sich in der Bahn neben drei jüdische Mädchen, die sich auf dem Heimweg von ihrer jüdischen Schule befinden, und beleidigt sie antisemitisch und sexistisch. Auch nach Interventionsversuchen zweier Fahrgäste fährt er lautstark mit den Beleidigungen fort, bis die Kinder die Bahn verlassen. Die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung und Beleidigung.

Die beiden Fahrgäste haben meine Achtung!

15. März 2023, Gelsenkirchen:

Unbekannte beschmieren das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus im Gelsenkirchener Stadtgarten mit volksverhetzenden Parolen. Das Mahnmal trägt die Namen von acht deutschen Konzentrationslagern und hat seit 2018 auch eine zugehörige Informationstafel.

07.10.2023, Süd-Israel

Feige und hinterhältige Kämpfer der Hamas überfallen Kibbuzim, Dorfer, Städte in Israel und schlachten wahllos Menschen jeden Alters ab. Terror, Massaker, Blutbad – alle diese Bezeichnungen für das Unfassbare sind richtig. Im eigenen Land werden Gräueltaten an Jüdinnen und Juden verübt, und in Deutschland läuft ein Mob über die Straßen und feiert das Massaker. Diese Bilder werden wir nicht vergessen.

Und trotzdem nehmen in Deutschland antisemitische Vorfälle seit dem 07.10. drastisch zu, dazu müssen wir nicht nach Berlin-Neukölln schauen. Auf eine Auskunft des Innenministers Herbert Reul wird am 20.10. im Kölner Stadtanzeiger verwiesen: Nach dem 07.10. kam es in NRW zu 101 Straftaten in Zusammenhang mit dem aktuellen Konflikt, darunter Sachbeschädigung, Diebstahl, Volksverhetzung und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Israelfahnen werden zerrissen oder verbrannt. Auch in Bergisch Gladbach.

Von der Reichspogromnacht zu den heutigen Ausschreitungen in Deutschland ist es nicht weit. Wir müssen uns gemeinsam gegen Antisemitismus positionieren. Genau das tun wir heute.

Danke für Ihre Anteilnahme und Ihre Teilhabe an der heutigen Gedenkveranstaltung.

Leidtragende des Holocaust in Ganey Tikva und Bergisch GladbachFotoausstellung im Ratssaal Bensberg vom 10.11. bis 08.12.2023, Wilhelm-Wagener-Platz, 51429 Bergisch Gladbach, Öffnungszeiten:    montags bis freitags 10.00 bis 12.30 Uhr

Die Fotoausstellung wurde von unserem Verein und dem Himmel und Ääd e.V. organsiert und bereits im vergangenen Jahr in Schildgen präsentiert. Am 10.11. wurde die Ausstellung mit einem Programm aus Lesungen – Claudia Timpner und Gerd Pohl lasen die Biografien – und Klezmermusik der Band Trezmorim eröffnet. Hier finden Sie zwei der Biografien:

Im Eingangsbereich des Bensberger Ratssaals wurde der Geiseln der Hamas gedacht, die am 07.10. entführt wurden.

Die Ausstellung zeigt folgende Bilder von Dr. Erich Deutsch und Familie, Dr. Paul Silverberg, Familie Reichenbach, Jascha Lülsdorf/Jacques Lowe und Zwi Herman Eshed und sein Enkel Asif, die Familie Vortrefflich und die Familie Levin aus Ganey Tikva.

Eine ergreifende Botschaft aus Ganey Tikva

Bei all der Erschütterung über die schrecklichen Verfolgung von Juden im Dritten Reich, bleiben wir dort nicht stehen, sondern suchen immer wieder den versöhnenden Kontakt zu den Menschen in Ganey Tikva. Einer von ihnen hatte Bergisch Gladbach im Januar anlässlich des Gedenktags für die Opfer des Holocaust besucht: Zwis Eshed, der auch in der obigen Ausstellung seinen Platz gefunden hat. Er schrieb im Nachhinein am 30.01.2023 an Lutz Urbach eine Mail:

Lieber Lutz,

Vielen Dank für deinen schönen Brief.

Wie ich bereits bei meinem Besuch erwähnte, war es für mich schwierig, nach Deutschland zu kommen. Ich wusste natürlich intellektuell, dass die heutigen Deutschen nicht die Deutschen der dunklen Tage sind, und ich wusste intellektuell, dass die Schicksale Deutschlands und Israels im Guten wie im Schlechten aufgrund dieser Tage für immer miteinander verbunden sind.

Vor allem dank der warmen und herzlichen Aufnahme, die du, Susanne und Peter, aber auch jeder andere Deutsche, den wir bei unserem Besuch getroffen haben, Asif und mir entgegengebracht haben, ist es mir nun gelungen, diese emotionale Blockade zu überwinden und die Deutschen von heute als Freunde und potenzielle Freunde zu betrachten.

Das hat mich sehr erleichtert. Ist es nicht der Sinn und Zweck von Partnerschaften, das Verständnis und die Freundschaft zwischen den Menschen zu fördern? In diesem Fall ist dies hervorragend gelungen.

Und dafür, mein Freund, danke ich dir aufrichtig.

Und das ist völlig unabhängig und ein zusätzlicher Bonus zum „offiziellen“ Zweck unseres Besuchs.

Dein Freund,

Zwi

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