Eine Veranstaltung im Brückenjahr 2022 zwischen den Städtepartnerschafts-Jubiläen mit Beit Jala und Ganey Tikva
– Von Jörg Bärschneider –
Er wuchs in Ostjerusalem mit Blick auf den Felsendom auf, tourte als Straßenmusiker durch Europa und wurde in den USA zum Reiseschriftsteller: von Beruf Weltenbummler, so könnte im Pass von Yuval Ben-Ami (46) stehen. Reisen ist für ihn steter Ansporn der Horizonterweiterung, Chance für ein tieferes Verständnis, was Menschen und ihre Kultur antreibt. Das hat den Israeli auch in eine schmerzliche Auseinandersetzung mit Alltag und Politik seines eigenen Landes geführt.
Auf Einladung der beiden Städtepartnerschaftsvereine für Ganey Tikva und Beit Jala stellte er sich jetzt in der Pfarrgemeinde am Heilsbrunnen dem Publikum. In einem multimedialen Vortrag, ergänzt durch musikalische Einlagen, Fragerunde und orientalisches Fingerfood, stellte er sein Projekt der „dualen Erzählreise“ vor. Dabei führt er internationale Reisegruppen zusammen mit seinem palästinensischen Kollegen Husam Jubran durch Israel und das Westjordanland.
Yuval, was ist das Besondere Deiner „dualen Erzählreise“?
Yuval Ben-Ami: Wir bemühen uns redlich, den Reisenden alles zu zeigen, von Archäologie, Religion und Geografie bis hin zu Küche, Poesie und Umwelt. Vor allem aber stellen wir die Geschichte auf verschiedenen Ebenen dar, einschließlich der Geschichte der letzten hundert Jahre und des Konflikts, anstatt sie auszuschließen. Uns kommt es darauf an, den Besuchern mehr als nur eine einzige Sichtweise zu präsentieren, und wir tun dies furchtlos und mit gegenseitigem Respekt.
Ein Beispiel?
Da alles politisch ist, kann sogar eine Diskussion über Lebensmittel Unterschiede und Widersprüche aufdecken. Zum Beispiel ermöglicht mir ein Spaziergang über den Markt in Westjerusalem, anhand von Gebäck, Essiggurken und Käse die verschiedenen jüdischen Gemeinschaften vorzustellen, die sich durch den Zionismus im Land angesiedelt haben. Mein Partner Husam hingegen erinnert sich an die arabischen Ursprünge des Marktes. Ein Besuch im Haus unseres Busfahrers zum Abendessen ist ein Fest der palästinensischen Küche und eine Gelegenheit, zu Liedern auf Hebräisch und Arabisch zu tanzen. Hin- und Rückfahrt über die Mauer und die Kontrollpunkte hingegen spiegeln ein Horrorszenario wider.
Klingt nach einer Gratwanderung zwischen exotischer Vielfalt und politischer Zerrissenheit …
Es gibt mehr als eine Möglichkeit, die Geschichte und die Gegenwart des Heiligen Landes zu lesen. Verschiedene Gruppen haben oft gegensätzliche Ansichten: nicht darüber, was die Fakten sind, sondern darüber, welche Fakten wichtig sind. Jeder Reiseleiter aus der Region – ob Israeli oder Palästinenser – ist damit aufgewachsen, nur etwa 50 Prozent der historischen Chronologie aus seinem eigenen Kulturkreis zu kennen. Der Rest wurde ausgelassen oder gestrichen. Das war es auch, was Husam und mir bei unserem ersten Treffen die inhaltliche Verständigung so schwer machte.
Was möchtest Du mit dieser Art zu reisen erreichen?
Reisenden wird oft etwa das vermittelt: ein verengter Blick auf bestimmte Realitäten, bei dem Aspekte, die für die eine oder andere Seite am wichtigsten sind, als unbedeutend abgetan werden. Folglich nehmen sie oft unsere Missverständnisse und dogmatischen Verfestigungen mit in ihre Herkunftsländer. Husam und ich meinen, dass die Besucher etwas Besseres verdient haben und dass eine ganzheitliche Sichtweise einen tieferen Diskurs und ein besseres Verständnis zwischen den Gruppen ermöglicht.
Kritiker werfen Dir vor, die Geschichte zu relativieren.
Tatsächlich werden wir für unsere Arbeit kaum kritisiert, schon gar nicht von Menschen, die unsere Touren miterlebt haben. Das bringt mich zu der Überzeugung, dass diese Form des Tourismus weiter verbreitet werden kann und sollte.
Darüber hinaus halte ich eine solche Kritik nicht für logisch, denn wir analysieren die Geschichte nicht. Wir stellen sie dar, ohne etwas auszulassen, und überlassen es den Reisenden, sich eine eigene Meinung zu bilden. Ich erinnere mich, dass ein Reisender Husam fragte, was er seinen Leuten daheim sagen solle. Husams Antwort: „Vergiss ruhig, was wir dir gesagt haben, denn wir könnten Dinge verzerrt oder schlecht formuliert haben. Erzählt, was ihr mit eigenen Augen gesehen habt.“
Können solche Reisen zum besseren Verständnis des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern beitragen?
Auf jeden Fall. Das Konzept, das vom Palästinenser Aziz Abu-Sarah und seinem jüdisch-amerikanischen Partner Scott Cooper ins Leben gerufen wurde, bietet eine wichtige praktische Form der Erkundung. Dabei wird eingeräumt, dass ein Gleichgewicht der Standpunkte niemals erreicht werden kann. Die beiden haben die wirksamste Methode entwickelt, die ich kenne, um Respekt für alle Standpunkte zu wahren.
Gilt dies auch für Bürgerreisen auf kommunaler Ebene, wie sie von den beiden Vereinen nach Beit Jala und Ganey Tikva unternommen werden?
Ich habe an diesen Reisen nicht teilgenommen, kann es also nicht sagen. Was ich weiß, ist, dass die Stadt Bergisch Gladbach mit ihrer Partnerschaft mit beiden Städten wirklich etwas Großartiges und Mutiges getan hat. Ich weiß, dass die Erfahrungen der Kommune nie eine aufgesetzte Wohlfühl-Feier des Zusammenlebens waren, sondern dass sie mit vielen Debatten und Emotionen umgehen musste. Wenn dabei Standards fairen Streitens eingehalten werden, spiegelt das die Realität wider und bereichert das Miteinander.
Deine persönliche Reise hat Dich zum Verlassen Deiner Heimat Israel gebracht, jetzt lebst Du mit Deiner Familie in Frankreich. Warum?
In diesem Gespräch hier haben wir das Optimistische und Erhebende angesprochen, aber es gibt so viel, das nicht so ist. Eine Möglichkeit, mit dem Schmerz des Heiligen Landes umzugehen, besteht darin, wegzuschauen, was so viele meines Volkes tun, oder sich anzupassen, wie es die meisten Palästinenser tun würden, weil sie keine Wahl haben. Ich habe nicht das Privileg, wegzuschauen, und ich wachte jeden Tag mit gebrochenem Herzen über die Schwierigkeiten in meiner Heimat auf. Ich brauchte eine andere Luft in meiner Lunge, die mich befähigt, mehr zu tun. Außerdem ist die Welt groß und faszinierend. Ich habe eine tiefe Liebe zu Europa und freue mich, auch hier als Reiseführer arbeiten zu können.