„Alles mit Liebe tun“ – Besuch aus Ganey Tikva

von Susanne Schlösser

September 12.- 14. 09.2014, unter dem Eindruck des „Gaza“-Krieges

Lizy Delaricha, seit knapp einem Jahr Bürgermeisterin von Ganey Tikva, und Ruthy Vortrefflich, ihre für die Städtepartnerschaft verantwortliche Mitarbeiterin und Dolmetscherin, reisen für das Stadt- und Kulturfest nach Bergisch Gladbach. Schon am Flughafen in Frankfurt nimmt sie Pfarrer Achim Dehmel als Vertreter des Arbeitskreises Ganey Tikva (Vorläufer des Städtepartnerschaftsvereins) freundschaftlich in Empfang.

Es wird offiziell …

Das offizielle städtische Besuchsprogramm startet am Freitagvormittag mit einem Ausflug durch Bensberg, ebenfalls von Achim Dehmel begleitet. Nachmittags empfängt Bürgermeister Lutz Urbach die Gäste aus Israel, die gleichfalls eingeladene Delegation aus der litauischen Partnerstadt Marijampole und rund 30 Basketball-Spieler/-innen im Kunstmuseum Villa Zanders.

Die Basketballer/-innen kommen aus Israel und Palästina. Sie spielen in gemischten Teams und tragen regelmäßig gemeinsame Spiele aus. Ihr großer Auftritt findet am Samstag bei einem Turnier gegen deutsche Mannschaften in der Fußgängerzone Stadtmitte statt. Eine fröhliche, sportliche Verständigung dreier „Völker“!

… und dann wieder privat

Nach dem offiziellen Programm wird es für Lizy und Ruthy privat. Sie treffen sich in kleiner Runde bei Famile Dehmel und werden mit einem wunderbaren Menü überrascht – eben Städtepartnerschaft außerhalb des Protokolls. In Englisch, Deutsch und Hebräisch wird über Ganey Tikva und die familiären Hintergründe geplaudert, auch die Politik kommt nicht zu kurz. Und es wird in der Bibel „geschmökert“, weil zu klären ist, ob Salomon nun der zweite oder der vierte Sohn von Bathseba und David war (die deutschen Google-Ergebnisse und die israelischen stimmten nicht ganz überein…).

Beeindruckt zeigen sich Lizy und Ruthy von Kanzlerin Angela Merkel, die jüngst erneut zur Staatsräson erklärte, dass Deutschland zu Israel stehen werde. Für uns in Bergisch Gladbach keine Frage!

Der Samstag

Am Samstag steht ein Spaziergang auf dem Stadtfest an. Die Infostände werden besucht und am Stand des Beit-Jala-Vereins kommt es zu einer herzlichen Begrüßung.

Vor dem Rathaus treffen die israelischen Gäste auf eine Hochzeitsgesellschaft in Dirndl und Lederhosen. Die Hochzeitskutsche ist eine alte BMW Isetta, die der Bürgermeisterin aus Ganey Tikva besonders gut gefällt. Schnell entspinnt sich ein Gespräch mit dem Besitzer, der Israel bald besuchen will… und Lizy darf für’s Foto Probe sitzen.

Nach dem Bummel durch die Innenstadt geht’s wieder ganz privat zum Lunch bei Freunden. Und dabei werden noch einmal Fotos von der ersten Bürgerreise im Oktober 2013 angeschaut. Dieser Besuch lag damals unmittelbar nach dem Wahlkampf, und Lizy hatte eine heiße Wahlnacht hinter sich. Die Kommunalwahl verlangte auch nach dem Sieg ihren Tribut! Lizy ist landesweit eine von fünf weiblichen Bürgermeisterinnen, und die ersten Monate nach der Wahl waren für sie purer Stress. So empfindet sie auch die jetzige Reise nach Bergisch Gladbach als Erholungsurlaub, bei dem sie bei einem Abstecher in die Kölner Flora so richtig „relaxen“ konnte.

Zig Flora-Fotos werden geschossen und in kleinen Häppchen direkt via WhatsApp nach Israel geschickt. Zurück kommen liebevolle Sprachnachrichten von Lizys Tochter Juval. Sie ist ihre jüngste Tochter, eine zierliche junge Frau.

Juval befindet sich immer noch im Gaza-Einsatz. Lizy Delaricha zeigte Fotos von Juval und drei Freunden – alle in Uniform, alle in Gaza. Die drei Freunde wurden getötet und Juval hat diese Erfahrung durch Besuche bei den drei betroffenen Familien zu verarbeiten versucht.

Weit weg vom täglichen Sirenenalarm

Auch für Ruthy ist diese Reise eine echte Erholung, da sie sehr unter dem ständigen Sirenenalarm während des „Gaza“-Kriegs im Juni/Juli gelitten hatte. Ruthy fürchtet sich auch jetzt noch vor Sirenen und lauten Geräuschen. So wird sie beim anschließenden Spaziergang durch die Kölner City von einem jungen Mann überrascht, der unglaublich laut peift. Ruthy wird stocksteif und kreidebleich. Der Krieg hat tiefe Spuren hinterlassen…

Und man ahnt, dass dies nicht der letzte Krieg gewesen ist. Lizy erklärt uns, die Hamas sei nicht besiegt und es werde keinen dauerhaften Frieden geben. Die Forderungen der Hamas nach einem Seehafen und einem Flughafen erfüllen die Israelis mit großer Angst, weil sie davon ausgehen, dass dadurch nur noch mehr Waffen geschmuggelt werden. Also wird der Staat Israel niemals den See- und Flughäfen zustimmen. Eine bedrückende und ausweglose Situation.

Am Abend treffen sich die beiden Delegationen aus Marijampole und Ganey Tikva mit dem stellvertretenden Bürgermeister Josef Willnecker zum Essen. Eine schöne Gelegenheit, um sich zu begegnen und kennen zu lernen.

Selbst am Drachenfels mit einem Auge in Israel

Das Privatprogramm am Sonntag soll noch mehr Urlaubsgefühle vermitteln. Per Zahnradbahn geht es auf den Drachenfelsen. Dieser Ausflug ist ein Volltreffer, beide sind von der Landschaft sehr beeindruckt.

Lizy nutzt hier immer wieder die Gelegenheit, auf dienstliche Nachrichten aus der Heimat zu reagieren, denn in Israel hat ja die neue Woche schon angefangen. Eine Bürgermeisterin ist eben immer im Dienst. Sie liebäugelt damit, in Deutschland zu bleiben und den Drachenfelsen zu ihrem Arbeitsplatz machen.

Auch Ruthy ist angetan: „Hier sind die Menschen so gelassen, sie haben keine Angst, sie müssen sich nicht um die Zukunft sorgen.“ Dass Deutschland Putins Politik in der Ukraine Sorgen bereitet, können die beiden kaum verstehen, schließlich will Putin Deutschland ja nicht beseitigen – so wie die palästinensischen Terrorgruppen der Hamas Israel von der Landkarte tilgen möchten.

Wir machen Pläne…

Natürlich machen wir auch Pläne für die Zukunft, ganz konkret für den nächsten Schüleraustausch. Leider musste die Reise der deutschen Schüler/-innen des Otto-Hahn-Gymnasiums in diesem September gestrichen – nein: aufgeschoben – werden, denn die Reise erschien den meisten Eltern doch zu unsicher, so kurz nach dem Krieg und bei Friedensverhandlungen, deren Aussicht auf Erfolg nicht einzuschätzen war.

Im Februar 2015 aber kommt eine Gruppe israelischer Schüler/-innen aus Ganey Tikva nach Bergisch Gladbach, das hat das verantwortliche Lehrerteam bei einer intensiven Arbeitsstunde am Nachmittag beschlossen.

Bei Freunden im Heilsbrunnen!

Diese Arbeitsstunde ist eingebettet in ein Treffen in der Kirche zum Heilsbrunnen am Sonntagnachmittag. Bei Kaffee und Kuchen erzählen Lizy und Ruthy einigen interessierten Gästen über ihre Stadt und über die Pläne für die Zukunft, damit die Stadt weiterwachsen kann. Viele Fragen wurden gestellt, zu den Integrationsproblemen, zum Zusammenleben von jüdisch-israelisch und arabisch-israelischen Bürgern, zu den wirtschaftlichen Verhältnissen (Israelis leben meist auf „Pump“), zum Wert der Bildung …

Lizy erklärt, es sei ihr eine Ehre, hier in Bergisch Gladbach Freunde zu finden. Auf die Frage, was das Motto für ihre Arbeit sei, fasst Lizy ihre Einstellung zum Umgang mit ihren Mitmenschen in Politik und Gesellschaft zusammen: „Alles mit Liebe tun“.

Jerusalem aus Gold

Die Luft der Berge ist klar wie Wein,
Und der Duft der Pinien
schwebt auf dem Abendhauch
und mit ihm, der Klang der Glocken.

Und im Schlummer von Baum und Stein,
gefangen in ihrem Traum;
liegt die vereinsamte Stadt
und in ihrem Herzen eine Mauer.

Jerusalem aus Gold
und aus Kupfer und aus Licht,
lass mich doch, für all deine Lieder,
die Geige sein.

Wie vertrocknet die Brunnen sind,
wie leer der Marktplatz.
Keiner, der den Tempelberg besucht,
in der alten Stadt.

Und in den Höhlen der Felsen,
heulen die Winde.
Und es gibt keinen,
der hinabstiege zum Toten Meer,
auf der Strasse nach Jericho.

Jerusalem aus Gold
und aus Kupfer und aus Licht,
lass mich doch, für all deine Lieder,
die Geige sein.

Aber als ich heute kam,
um für Dich zu singen,
und Dir Kronen zu binden,
da bin ich doch das geringste all
Deiner Kinder, der letzte dem es zustünde,
Dich zu besingen.

Brennt doch Dein Name auf den Lippen,
wie ein Kuss der Serafim:
Wenn ich Dein vergäße – Jeruschalajim,
Du ganz und gar Goldene.

Jerusalem aus Gold
und aus Kupfer und aus Licht,
lass mich doch, für all deine Lieder,
die Geige sein.

Ja, wir sind zurückgekehrt,
zu den Brunnen, zum Markt
und Deinen Plätzen.
Der Klang des Schofars hallt
über dem Berg, dort in der Altstadt.

Und in den Höhlen am Felsen
scheinen Tausende von Sonnen.
Lass uns wieder hinabsteigen
zum Toten Meer,
über die Straße nach Jericho.

Jerusalem aus Gold
und aus Kupfer und aus Licht,
lass mich doch, für all deine Lieder,
die Geige sein.

Hae-Kyung Choi, die Organistin der Kirche zum Heilbrunnen, spielt an diesem Nachmittag zwei jüdische Lieder, die sie neu bearbeitet hat – schließlich ist sie gelernte Komponistin. Lizy nimmt die Musik mit dem Smartphone auf und spielt sie später im Auto auf dem Weg zum Hotel noch einmal ab. Jetzt singen alle gemeinsam “Jerusalem aus Gold“. Ein schöner Augenblick!

Der stärkste Eindruck, den beide mit nach Hause nehmen, ist die Wertschätzung und Zuneigung. Lizy und Ruthy wissen, dass Israel in Deutschland häufig kritisiert wird. Sie wissen um den Antisemitismus in Deutschland, sie wissen, dass nur wenige Menschen ihre Situation in Israel tatsächlich verstehen, erkennen und anerkennen. Aber sie betonen: Niemand außerhalb Israels „gehe in ihren Schuhen“. An diesem Wochenende erfahren beide vor allem aber sehr viel Freundlichkeit und Zuspruch von einzelnen Menschen, die ihnen Interesse und Wärme entgegenbringen – ohne Vorurteile. Davon wird die Städtepartnerschaft zehren!

Bleibt uns, den Menschen in Ganey Tikva und ganz Israel zu wünschen, dass Friede mit den Palästinensern möglich wird, dass sich die Palästinenser gegen den Terror in ihren Reihen wehren wollen und dass Israelis Siedlungen und Mauern nicht mehr aus Sicherheitsgründen bauen müssen … Klingt utopisch, wäre aber sehr, sehr schön.

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