Kann man mit hoffnungsvoller Musik der Opfer des Holocaust gedenken? Der KonzertChor Bergisch Gladbach e.V. unter Leitung und Klavierbegleitung von Hermia Schlichtmann und der Freundeskreis Ganey Tikva, Vorläufer des Vereins „Städtepartnerschaft Ganey Tikva – Bergisch Gladbach e.V.“ sagten am 27. Januar dazu „ja“!
Pfarrer Achim Dehmel begrüßte zunächst die Gäste in der vollen Kirche zum Heilsbrunnen und bat um eine Gedenkminute für alle Opfer der Nazi-Diktatur. Er stellte die Bedeutung des Gedenkens gerade nach 75 Jahre der „Befreiung“ des Konzentrationslagers Auschwitz/Birkenau heraus. Zu bedauern sei, dass junge Menschen heute oft noch nicht einmal in der Schule ausführlich über das Nazi-Regime und den Holocaust informiert werden oder sich austauschen können. Der stetige Rückblick in unsere Vergangenheit sei aber bedeutsam für eine Zukunft, in der alle Menschen gleichberechtigt und friedlich zusammenleben. Die Menschenverachtung der Nazis habe offenbart, dass die Menschenwürde doch antastbar sei.
Der KonzertChor startete dann seinen Liederreigen mit der hebräischen Version von „Schön ist’s wenn Schwester und Brüder friedlich beisammen wohnen“, besser bekannt als „Hine ma tow“. Damit war die Botschaft des Abends auch musikalisch formuliert.
Bürgermeister Lutz Urbach betonte in seinem Grußwort, dass wir heute in der Verantwortung stehen würden, einer Wiederholung der systematischen Erniedrigung, Entrechtung und Ermordung von Menschen, die nicht dem nationalsozialistischen Idealbild entsprachen, entgegen zu stehen und uns gegen rassistisches und antisemitisches Gedankengut zur Wehr zu setzen. Er dankte den Gästen der Veranstaltung, dass sie durch ihr Kommen ein Zeichen setzen und “den Unterschied“ machen würden. Gedenken könne sich verändern, dürfe jedoch niemals aufhören.
Anschließend übernahm der KonzertChor die Regie des Abends und führte das Publikum mit verschiedenen Gesangsstücken in die Welt und die Empfindungen unterdrückter und entrechteter Menschen. Zunächst wurde die Sehnsucht der Juden überall in der Welt nach dem goldenen Jerusalem mit dem bekannten „Yerushalayim“ der israelischen Musikerin Naomi Shemer nahegebracht. Das Lied handelt vom seelischen Leid der Juden und der Heimat Jerusalem, die den Mittelpunkt der jüdischen Welt bildet.
Das folgende Spiritual “All my Trials“ von Norman Lubboff vermittelte das Versprechen einer unterdrückten Mutter, die auf dem Totenbett ihren Kindern sagt, dass nach dem Leid dieser Welt für alle, Arme wie Reiche, die gleiche Hoffnung auf eine bessere Welt bestehe.
Die fünf „Hebrew Love Songs“ von Eric Whitacre, knüpften an die individuelle Hoffnung und Sehnsucht zweier Liebender an, die ihr Leben zusammen gestalten möchten. Hier wurden Gedichte der israelischen Sängerin Hila Plitmann vertont. Wie viele jüdische Ehepaare, Verlobte oder Verliebte träumten von einer schönen und „normalen“ Zukunft, die in einem der vielen Konzentrationslager grausam zerstört wurde?
Auch der deutsche evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer wurde als dem Widerstand verbunden von der Gestapo inhaftiert, vermutlich gefoltert und 1945 grausam getötet. Trotzdem wusste er sich „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ und schrieb 1944 jenes Lied von Hoffnung und Gewissheit, das von Siegfried Fitz vertont und von Hermia Schlichtmann in ein vielstimmiges Chor-Arrangement überführt wurde.
Für Frieden war in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und in den Gestapo-Gefängnissen kein Platz. Kaum vorstellbar, dass die Menschen dort noch Hoffnung für sich selbst hatten. Vielleicht hatte aber der eine oder andere die Hoffnung, dass dieses Grauen eines Tages beendet sein würde und ein neuer Friede in der Welt wachsen könnte. „Peace like a River“, ein Spiritual von Mack Wilberg, kündet von diesem Frieden, gepaart mit Vertrauen, Hoffnung und Liebe, als einem die Seele erfüllenden Fluss und dem, was sich Menschen für sich und ihre Welt erhoffen. An diese Sehnsucht knüpfte auch “River in Judea“ von John Leavitt an.
Der Frage, wie Christen im „christlichen Abendland“ nach der Nazi-Diktatur und dem Holocaust das Thema „Nie wieder“, die Hoffnung auf Frieden, Gerechtigkeit und den Respekt der Menschenwürde bewegen, ging der Chor mit dem Titel „Bleib bei uns“ aus dem Oratorium “Emmaus“ von Thomas Gabriel nach. Der Jude Jesus von Nazareth ist derjenige, auf den Christen in aller Welt ihre Hoffnung auf Frieden setzen. Seine Botschaft von der Liebe ist ihr Licht in einer dunklen Welt. Den Schlusspunkt setzte daher das „Agnus Dei“ von Steve Dobrogosz.
Nach Standing Ovations für einen grandiosen Chor und eine begnadete Chorleiterin und nach zwei Zugaben verabschiedete Pfarrer Achim Dehmel den Chor und die Gäste mit der Bitte um Segen für ein verantwortungsbewusstes und den Mitmenschen aus allen Religionen, Kulturen, Ethnien zugewandtes Leben.
Ein besonderer Abschiedsgruß galt Chorleiterin Hermia Schlichtmann, da dieses Konzert ihr letztes im Bergisch Gladbach sein sollte.
Kann man mit hoffnungsvoller Musik der Opfer des Holocaust gedenken? Wer einmal im Museum der Gedenkstätte Yad Vashem war, der fühlte sich durch das Konzert dorthin zurückversetzt: Am Eingang wird durch einen Film das normale Leben jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger vor Augen geführt. Menschen wie du und ich gingen zur Schule oder Arbeit, führten den Haushalt, luden Freunde ein, lasen, musizierten, trieben Sport. Sie hatten Wünsche, Träume und Sehnsüchte. Danach werden die Museumsbesucher auf einem Weg nach unten durch die museale Aufarbeitung des Holocaust geführt. Thematisiert wird die schleichende Entrechtung von Juden, die zunehmende Diskriminierung, Verfolgung und Vertreibung ins Ghetto, Sammlung in Lagern, Einzelermordungen und Massenermordungen bis hin zur Deportation in die Vernichtungslager. In einem letzten, völlig schwarzen Raum der Stille wird an einzelne Menschen mit Zitaten erinnert. An diesem Punkt, an dem die Bedrückung fast unerträglich wird, tritt man aus dem Museum hinaus auf eine Terrasse, die den Blick in ein wunderschönes, helles Tal weitet. Die Terrassenwände rechts und links erinnern an Schiffswände. Es ist, als trete man aus einem Schiff in das gelobte, zukunftsverheißende Land. Ist es die Arche Noah oder eines der Schiffe, die jüdische Immigranten in das Heilige Land brachten? Dieser Ort ist ein erstaunliches Symbol für die Hoffnung und das Licht am Ende eines dunklen und grauenvollen Tunnels. Diese Hoffnung und dieses Licht sollen in die Zukunft tragen und sie als Ort gestalten, in der die Menschenwürde unantastbar ist und bleibt.